Wenn Igel träumen ...
 Die Elfe Sasana 
 Aufregung im Elfental 
 Sasanas Ferien 
 Unas Ulmen 
 Der Einzelgänger 
 Die Reise zum Großen Fest 
Wenn Igel träumen ...
 


Eine Elfengeschichte von kellergoethe. Die Rechte liegen beim Autor. Jegliche Veröffentlichung und Vervielfätigung bedarf der vorherigen Genehmigung.


Zu den anderen Teilen:

* 1 *  < >  * 3 *

Teil 2

Elfenzeichnung von Pia H. Sasana sah den Erlenzeisig ungläubig an. Kandar schnaubte unwillig:
"Du willst doch wohl nicht sagen, dass diese Erle dort mir nichts, dir nichts zu tanzen anfängt und dadurch ein Erdbeben auslöst."
"Doch!" rief der Zeisig, "genau das will ich sagen!"
"Unsinn", entrüstete sich Kandar, "eine Erle ist ein Baum und kein Tanzbär. Erzähle uns doch keine Märchen."

Die Elfe hatte unterdessen ihren Blick nachdenklich dem Baum zugewandt, um den es ging.
"Sieht er nicht auch jetzt noch tatsächlich so aus, als tanze er?" fragte sie leise – beinahe so, als spräche sie zu sich selbst. "Sieh dir nur die Äste und die Wurzeln an."

Kandar mochte dies nicht glauben. "Ein Baum ist ein Baum, und Bäume tanzen nun mal nicht. Dieser dort mag ja so gewachsen sein, dass er den Eindruck erweckt, er könne tanzen. Und vielleicht hat genau dies den Erlenzeisig im Dämmerlicht des frühen Tages getäuscht. Doch tanzen – wirklich tanzen – nein, das kann dieser Baum nicht."

Sasana blickte zu dem Vogel und fragte: "Was sagst du dazu?"

"Wenn ich den Tanz nicht selbst erlebt hätte, wäre ich wahrscheinlich auch mißtrauisch. Da ich aber, als der Tanz losging, auf einem Zweig dieser Erle gesessen habe und mächtig durchgeschüttelt worden bin, kann ich euch nichts Anderes sagen. Zuerst glaubte ich, ein kräftiger Windstoß hätte das Geäst in Bewegung versetzt, doch als dann nicht nur die Äste schwangen, sondern der Baum auch noch begann, mit den Wurzeln aufzustampfen, da war mir klar, dass Ungewöhnliches vor sich ging. Ich habe zunächst einmal meine Flügel benutzt, um aus diesem Baum heraus zu kommen und mir einen sicheren Standort suchen. Doch mittlerweile hatte die Erle sich so sehr eingetanzt, dass der Boden unter ihren Wurzelschlägen erbebte und es nicht einen Strauch in der Umgebung gab, der nicht durchgerüttelt und geschüttelt wurde. Darum flog ich in sicherer Entfernung von der Erle immer im Kreis herum, um nicht von ihren Ästen oder Wurzeln erwischt zu werden und trotzdem noch beobachten zu können. Ich sage euch, das war ein sehr merkwürdiges Erlebnis. Mein Herz schlug bis zum Hals. Und trotzdem konnte ich mich nicht von dem Anblick des tanzenden Baumes abwenden. Wieviel Zeit so verging, vermag ich nicht zu sagen. Irgendwann verlangsamten sich die Bewegungen des Baumes, bis nur noch leichte Zuckungen zu bemerken waren, die dann auch schließlich aufhörten. Dann habe ich mich erst einmal hierher auf diesen Strauch gesetzt, um mich von dem Schrecken zu erholen und wieder zu Atem zu kommen."

Der Vogel hatte diesen Bericht nur so heraus gesprudelt und beinahe vergessen, dabei Luft zu holen. Nun blickte er zur Elfe und zu Kandar, um zu sehen, wie sie auf das Erzählte reagieren würden.

Beide hatten ihm mit immer größer werdendem Erstaunen gelauscht und waren nun sprachlos. Sasana heftete ihren Blick wieder auf den Baum und dachte angestrengt nach.

Kandar lag eine Frage auf der Zunge. Doch er hielt sich noch ein Weilchen zurück, um die Gedanken der Elfe nicht zu stören. Erst als er ein leichtes und ratlos wirkendes Kopfschütteln bei Sasana bemerkte, stellte er die Frage:
"Denkst du, das alles ist wirklich so passiert?"

Der Erlenzeisig wollte sich schon aufregen, doch Sasana war mit ihrer Antwort schneller:
"Je mehr ich den Baum und auch seine nähere Umgebung betrachte, desto glaubwürdiger erscheint mir das, was unser Freund uns berichtet hat. Wenn etwas geschieht, von dem wir noch nie zuvor gehört haben, kommt es uns immer erst so vor, als könne es gar nicht geschehen sein. Wir haben da ja schon manches erlebt."

Kandar schüttelte unwillig den Kopf. "Na, tanzende Bäume ... es ist schon ganz schön viel verlangt, so etwas glauben zu sollen."

Sasana lächelte und fragte dann: "Und was ist mit unsichtbaren Kobolden oder mit Hirschen, die sich in Adler verwandeln oder ..."
Sie wollte noch einige Beispiele mehr anfügen, doch Kandar hatte schon verstanden und unterbrach sie: "Schon gut, schon gut. Es stimmt, wir haben schon allerlei Unglaubliches erlebt. Denkst du, dass hier auch wieder Magie im Spiel ist?"

Sasana antwortete nachdenklich: "Ich weiß es nicht. Ich würde liebend gern die Erle selbst fragen."

"Ha!" mischte sich der Erlenzeisig ein, "erst nicht glauben wollen, dass Erlen tanzen können und dann sogar mit ihnen reden wollen. Wer ist denn nun verrückt?"

"Ich dachte eher daran, mich in die Erle zu versenken, mit ihr eins zu werden und so die Antworten auf unsere Fragen zu bekommen", meinte Sasana nachdenklich.

"Auf keinen Fall!" rief Kandar aus. "Denk doch mal daran, wie krank Una wurde, als sie sich in eine ihrer Ulmen versenkte. Was ist, wenn auch diese Erle krank ist? Und wenn du dann auch erkrankst? – Nein, das erlaube ich nicht." Kandar war außer sich.

"Ist ja schon gut", versuchte Sasana ihn zu beruhigen. "Ich werde es nicht tun. Du hast ja Recht. Es wäre nicht ungefährlich. Tun müßen wir aber etwas. Nur was?"
Sasana sah das Wildpferd fragend an. Doch auch dieses machte einen sehr ratlosen Eindruck.

Gerade, als Sasana zu spüren glaubte, wie in ihrem Innern eine Idee entstand, geschahen unglaubliche Dinge. Die Erle begann mit einem Male ihre Äste zu schwingen. Dabei wogte sie mit ihrem ganzen Stamm hin und her, so als beuge sie ein starker Wind mal in die eine, mal in die andere Richtung.

"Es geht wieder los!" rief der Erlenzeisig und schwang sich augenblicklich in die Luft. "Sucht euch sicheren Halt und hütet euch vor den Ästen!"

Sasana und Kandar standen wie erstarrt und blickten überrascht zur Erle.
Diese wiegte sich in immer schnellerem Rhythmus. Und dann hoben sich auch noch ihre Wurzeln und peitschten auf den Boden.
Nun kam Bewegung in die Elfe. Sie schwebte ein kurzes Stück in die Höhe, um nicht auf dem zittrigen Erdboden zu stehen, wandte sich zu Kandar und sagte: "Schnell! Bring dich in Sicherheit. Wer weiß, wie stark das Beben noch wird. Mir wird es nichts ausmachen, da ich ja schwebe. Aber du mußt nun fort."

Das Wildpferd überlegte nicht mehr lange, sondern wandte sich mit einem schnellen Ruck um und spurtete den Bach entlang, setzte mit einem gewaltigen Sprung über ihn hinweg und jagte einen kleinen Hügel auf der gegenüberliegenden Seite hinauf. Auf dem Hügel angekommen, hielt Kandar an und wandte sich zurück, um zu sehen, was in der Umgebung der Erle vor sich ging.
Als er Sasana in sicherer Entfernung von dem Baum in der Luft schweben sah, atmete er erleichtert auf.

Die Erle hatte nun einen dauerhaften Rhythmus gefunden, wiegte sich, schwang ihre Äste und peitschte mit den Wurzeln. Das Beben des Erdbodens konnte Kandar noch bis zu seinem Standort auf dem Hügel verspüren. Und trotz des Getöses der Wurzelschläge hörte er plötzlich noch ein anderes Geräusch, das ihn alarmierte. Zuerst war dieses Summen völlig von dem Gedröhne, das der Tanz des Baumes verursachte, überdeckt. Doch es nahm immer mehr an Lautstärke zu und wuchs zu einem ohrenbetäubenden Brummen an.

Kandar suchte mit seinen Augen die Umgebung nach der Ursache für dieses Geräusch ab. Doch er konnte nicht genau ausmachen, woher das Brummen kam. Mal schien es, als entstehe es unmittelbar neben der Erle, dann wieder schien es, als befände sich die Ursache ein gutes Stück bachabwärts, und schließlich klang es sogar so, als sei der ganze Bach der Verursacher eines vielstimmigen Gebrumms, das der Erle die Musik zu ihrem Tanz lieferte.

Das Wildpferd blickte wieder zu Sasana hinüber, um sich zu vergewissern, dass ihr nichts geschehen war. In dieser Hinsicht konnte es aber beruhigt sein.

Die Elfe hatte ihren Blick nun auch von dem tanzenden Baum abgewandt, war eine kurze Strecke bachabwärts geschwebt und schien das Ufer des Baches in näheren Augenschein zu nehmen. Hatte sie da vielleicht etwas entdeckt?
Auch Kandar heftete nun seinen Blick auf das Bachufer. Doch er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Der Erlenbach war ein Bach, wie jeder andere auch. Er zog sich in kleinen und auch größeren Bögen durch die Aue. Sein Ufer war mit Bäumen und Sträuchern bewachsen, die die Feuchtigkeit des Bodens liebten. Es säumten Steine jeglicher Größe seinen Lauf, die er wohl aus den Bergen mit sich geführt hatte. Es gab jedenfalls nichts, was so aussah, als könnte es ein solch brüllendes Brummen hervorbringen.

Das Lärmen und Toben hielt ziemlich lange an. Doch schließlich wurden die Bewegungen der Erle langsamer und das Gebrumm nahm an Stärke ab. Langsam, ganz langsam verebbten Tanz und Gesang, bis die Erlenbachaue wieder in völliger Ruhe und so, als sei nichts geschehen, im herbstlichen Sonnenschein lag.

Nun hielt Kandar nichts mehr auf dem Hügel. Schnellen Schrittes machte er sich auf den Weg, um zu der Elfe zurück zu kehren. Als er bei ihr eintraf, flatterte der Erlenzeisig noch immer in Kreisen herum und rief:
"Jetzt habt ihr es selbst gesehen. Habe ich nun gelogen oder nicht? Glaubt ihr es jetzt endlich?"
"Aber ja", meinte Sasana. "Natürlich glauben wir dir. Beruhige dich erst einmal."
"Wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, würde ich es noch immer nicht glauben", sagte Kandar fassungslos. "Wer oder was treibt diesen Baum dazu, so etwas zu tun?"
"Das ist die eine Frage, die es zu beantworten gilt", nickte die Elfe. "Und die zweite Frage ist: Wer oder was treibt die Steine dazu, die Erle mit ihrem Gesang zu begleiten?"
Kandar sah Sasana mit weit aufgerissenen Augen an. "Du meinst, dass dieses fürchterliche Gebrumm von den Steinen stammte?" fragte er erstaunt.
"Ja", entgegnete die Elfe. "Das kam ganz eindeutig von den Steinen. Sie sangen zu dem Tanz der Erle. Es war ein sehr erschreckendes Konzert."
"Bäume, die tanzen – Steine, die singen", Kandar schüttelte den Kopf, "was wird in dieser merkwürdigen Gegend noch alles passieren?"
"Es wird Zeit, dass wir Licht in diese Angelegenheit bringen", meinte Sasana entschlossen. "Wir müßen die Ursache für diese Geschehnisse finden und vor allem herausfinden, wie wir der Aue wieder dauerhaft ihre Ruhe geben können."
"Aber wie willst du das tun?" fragte Kandar. "Ich habe jedenfalls nicht die geringste Idee."
"Ich selbst auch nicht – aber man muß ja nicht alles selber wissen. Oft reicht es auch schon, wenn man weiß, wen man fragen kann", antwortete die Elfe rätselhaft. "Komm, wir machen uns sofort auf den Weg."
Mit diesen Worten schwang sie sich auf den Rücken des Wildpferdes.
Doch dieses wußte noch immer nicht, worum es eigentlich ging. "Wohin soll ich denn nun reiten?" fragte es verwundert.
"Bring mich bitte zum Rand der Sauwiese – da wohnt jemand, der vielleicht helfen kann", sagte Sasana.

Und schon ging es in rasendem Tempo los – den schmalen Pfad entlang, den sie gekommen waren und vorbei an den Sträuchern, unter denen die Haselmäuse verängstigt saßen. Ihnen konnte Sasana nur noch zurufen, dass sie unbesorgt sein sollten und der Erlenzeisig sicher gleich käme, um ihnen Bericht zu erstatten.
Das Wildpferd rannte noch schneller, als auf dem Hinweg – und hatte noch größere Mühe, dem alten Igel auszuweichen, der ihm auf seinen alten kleinen Beinen entgegeneilte. Der Igel war so außer Atem, dass er kein einziges Wort heraus brachte.
Sasana rief ihm zu: "Es tut mir leid! Wir sind sehr in Eile!" Und dann war sie auch schon wieder außer Hörweite.
Der Igel saß schwer atmend und mit ausdruckslosem Gesicht auf dem Erdboden.
"Beeilen müßen sie sich also – pah – und was meinten sie wohl, was ich hier tue?"
Unschlüssig sah der Igel in die Richtung, aus der er gekommen und in die die Elfe verschwunden war. Sollte er wieder hinterher? Oder sollte er besser zur Erlenbachaue?
Dann aber faßte er den Entschluß, sich nicht von der Stelle zu rühren. Immerhin war er ein Igel und kein Dauerläufer. Ein anständiger Igel ruht sich außerdem tagsüber aus und rennt nicht durch die Gegend. Noch dazu war er ein alter Igel und kein junger Hüpfer. Wenn sie seine Geschichte nicht hören wollten, dann sollte es nicht seine Sorge sein.

Und so suchte er sich am Wegesrand ein ruhiges und geschütztes Plätzchen und legte sich erst einmal zur Ruhe.


Zeichnung von Hanne H. Einige Zeit später erreichten Kandar und die Elfe die Höhle am Rande der Sauwiese, in der Padin, der Bär, wohnte. Sasana sprang vom Rücken des Wildpferdes und näherte sich schnell der Höhle.
An ihrem Eingang rief sie:
"Padin! Bist du da? Darf ich eintreten? Es ist wirklich wichtig!"
Aus dem Innern der Höhle erklangen ein tiefes Brummen und dann eine ebenso tiefe Stimme:
"Warte – ich komme lieber hinaus zu dir, dann können wir bei Lichte miteinander reden."
Es dauerte gar nicht lange, dann erschien die massige Gestalt des Bären im Höhleneingang.
"Sei gegrüßt, Sasana – und auch du, Kandar. Was führt euch zu mir – und noch dazu in solch großer Eile, die dem Wildpferd den Schweiß auf den Rücken treibt?"
"Du bist ein guter Beobachter", meinte Sasana anerkennend. "Es stimmt, wir sind sehr in Eile. Ich brauche deinen Rat, Padin."
"Ich wüßte nicht, wie ich dir helfen sollte", entgegnete der Bär. "Ich war noch nie in der Nähe der Erlenbachaue und weiß nicht, was dort vor sich geht."
"Du hast also schon davon gehört", stellte die Elfe fest.
"Es ist derzeit sehr schwer, einen der Talbewohner zu treffen und nicht über die Erlenbachaue zu reden", sagte Padin und gluckste beinahe in sich hinein. "Es scheint niemand mehr ein anderes Thema zu kennen."
"Laß mich dir berichten, was wir dort erlebt haben", bat Sasana. "Vielleicht kannst du mir dann ja doch einen Rat geben. Immerhin hast du in deinem langen Leben schon mehr gesehen und gehört, als jeder andere, den ich kenne. Da wäre es doch gut möglich, dass du eine Idee dazu hast, was die Ursache sein könnte."
"Na, dann leg mal los", forderte Padin sie auf.

Und so berichtete die Elfe dem Bären bis ins Kleinste über die Ereignisse in der Erlenbachaue.
Er lag mit halb geschlossenen Augenlidern und dem Kopf auf seinen Vordertatzen auf dem Boden. Es schien fast so, als interessiere ihn das alles herzlich wenig und als stehe er kurz davor, einzudösen. Doch Sasana ließ sich nicht täuschen. Sie wußte, dass er sehr gespannt lauschte.

"Und dann haben wir uns auf den Weg zu dir gemacht, um zu fragen, ob du schon einmal ähnliches gehört hast und vielleicht weißt, was zu tun ist", schloß Sasana ihren Bericht.
Erwartungsvoll sah sie Padin an.
Dieser verharrte jedoch in seiner bisherigen Stellung und rührte sich nicht. Die Miene eines Bären ist sehr mysteriös. Sie verrät so gut wie nichts darüber, was er gerade fühlt oder denkt. Und so ging es nun auch Sasana. Sie konnte beim besten Willen nicht sagen, was in dem Bären vor sich ging. Und der rührte sich nicht und sagte auch nichts.

Kandar empfand das Schweigen, das nun entstand, nach einer Weile als sehr unangenehm. Es kam ihm beinahe so vor, als stünden die Elfe und der Bär unter irgendeinem Bann, den er, Kandar, nun brechen müßte. Aber wie? Er verspürte den Drang, etwas zu sagen. Ihm fiel aber nicht so richtig ein, was er wohl sagen könnte.
Schließlich räusperte er sich und meinte:
"Auf den Weg gemacht ... das ist noch sehr gelinde ausgedrückt. Geflogen bin ich, meine Füße haben kaum den Erdboden berührt. Sonst hätte ich wahrscheinlich auch diesen alten Igel noch zertrampelt, der uns entgegen kam."
Bei diesen Worten öffneten sich die Augenlider des Bären und er hob seinen Kopf.
"Was war das mit dem Igel?" fragte er verdutzt. "Wo ist er euch begegnet?"
"Ach, nichts weiter", sagte Kandar verlegen, "ich hatte halt nur einige Mühe, den Igel bei unserem Tempo nicht zu verletzen. Das ist alles". Das Wildpferd fand es nun überhaupt keine gute Idee mehr, etwas gesagt zu haben.
Doch Sasana hatte eine Veränderung in Padin beobachtet, die zweifellos durch Kandars Worte ausgelöst worden war. Also setzte sie nach:
"Schon auf dem Hinweg kam uns der alte Igel entgegen. Und auf dem Rückweg dann auch wieder. Ich habe mich noch etwas gewundert, warum er erst in die eine und dann wieder zurück in die andere Richtung gelaufen war."
"Hmh". Padin legte seinen Kopf schräg und sah dabei an seinen beiden Besuchern vorbei, so als wollte er etwas sehen, was in sehr weiter Entfernung lag. "Ob es das sein könnte?" fragte er mehr sich, als einen der beiden anderen.
"Was meinst du?" wollte Sasana wissen.
Doch Padin antwortete nicht sofort. Er schien nun allerlei Gedanken gegeneinander abzuwiegen, wobei er seinen Kopf in Pendelbewegungen hin und her schwang. Schließlich hielt er inne, sah Sasana an und sagte:
"Ganz sicher bin ich nicht. Aber vor unendlich langer Zeit, als ich selbst noch als Elf in meinem Revier lebte, hat sich schon einmal Ähnliches zugetragen. Wenn ich aber Recht habe, dann kann dir der alte Igel viel besser helfen, als ich es könnte. Du mußt sofort zu ihm und mit ihm reden."

Sasana wußte nicht so recht, was sie damit anfangen sollte. "Kannst du mir nicht etwas mehr darüber erzählen, was sich seinerzeit in deinem Revier ereignet hat und wie du mit der Sache fertig geworden bist? Ich tappe ja noch immer im Dunklen."
"Ich kann dir wirklich nicht helfen", antwortete Padin. "Ich bin nämlich seinerzeit mit der Sache überhaupt nicht fertig geworden. Wenn überhaupt, dann kann dir nur der alte Igel helfen. Und nun beeilt euch."

Und mit diesen rätselhaften Worten erhob sich der Bär und trottete zu seiner Höhle zurück. Dabei murmelte er etwas vor sich hin, was Sasana jedoch nicht deutlich verstand. Es hörte sich an wie "...hoffentlich stimmt es ... wenn es der Eine unter Tausenden ist, ist es ja gut ..."

Die Elfe sah dem Bären verwundert und verwirrt hinterher.
"Ein komischer Kauz", sagte Kandar, und der Elfe zugewandt fuhr er fragend fort: "Und was jetzt?"
"Was bleibt uns schon, als seinem Rat zu folgen und mit dem alten Igel zu reden", seufzte Sasana. "Obwohl ich noch immer nicht weiß, wie dieser denn wohl helfen könnte, wenn es nicht einmal Padin mit seiner Erfahrung kann."
Unschlüssig stand sie da und sah das Wildpferd an.
"Hast du denn noch Kraft genug, den ganzen Weg noch einmal auf dich zu nehmen?" fragte sie.
Kandar überlegte keinen Augenblick.
"Na klar", sagte er, "das ist doch überhaupt kein Problem für mich. Steig nur auf."

Zeichnung von Hanne H. Und so kam es, dass die beiden sich erneut auf den Weg in Richtung Erlenbachaue begaben. Und das wieder mit hoher Geschwindigkeit.
Und obwohl Kandar es nie zugegeben hätte, machten sich die Anstrengungen der bisherigen schnellen Läufe doch auch bei ihm bemerkbar. Und so war er recht dankbar, als Sasana ihm nach einer Weile ins Ohr flüsterte:
"Laufe bitte jetzt nicht mehr ganz so schnell – sonst verpassen wir womöglich noch den alten Igel."
Kandar verließ den Galopp und ging zu einem schnellen Traben über, das es der Elfe besser ermöglichte, nach dem Igel Ausschau zu halten.

Dieser hatte es sich am Wegesrand unter einem Gebüsch gemütlich gemacht und war eingeschlafen. Kein Wunder, nach all der Lauferei zu für ihn ungewöhnlicher Tageszeit. Doch als er unter seinem Bauch den Hufschlag des Wildpferdes spürte, war er sofort hellwach und schnell auf seinen Beinen. Er trottete in unverkennbarem Igel-Wackelgang aus dem Gebüsch heraus, um zu sehen, ob es tatsächlich wieder die Elfe war, die auf dem Pferd des Weges kam.

Kandar sah ihn sofort, verlangsamte sein Tempo noch mehr und hielt auf den Igel zu. Als er ihn erreichte, hielt er an.
"Hallo, Gevatter Igel", begrüßte er den am Wegesrand Wartenden. "Gut, dass wir dich treffen, denn zu dir wollten wir."
"Na, das hättet ihr aber auch schon früher haben können", meinte der Igel, "aber ihr wart ja so sehr in Eile."
Sasana war vom Rücken des Wildpferdes gerutscht und setzte sich nun neben den Igel ins Gras.
"Ja, und es tut uns auch sehr leid, dass wir dich zweimal beinahe über den Haufen gerannt haben und keine Zeit hatten, dich zu begrüßen. Nun sind wir aber gekommen, um mit dir zu reden."
"Und das ist auch gut so", sagte der alte Igel. "Ich muß dir nämlich etwas sehr Wichtiges erzählen, Sasana."
Sasana fühlte, dass es wahrscheinlich besser war, erst den Igel reden zu lassen und ihn nicht gleich mit allerlei Fragen zu überfallen. Darum entgegnete sie:
"Gut, dann leg los. Die Fragen, die ich an dich habe, kann ich ja später noch stellen."

Der alte Igel war erfreut, dass er nun tatsächlich loswerden konnte, was er erzählen wollte und ließ sich auch nicht länger bitten.
"Von dem Beben der Erde war ich genauso überrascht, wie alle anderen Bewohner der Erlenbachaue auch. Ganz so wie die meisten anderen, wollte auch ich mich zunächst in Sicherheit bringen. Dann aber traf ich den Erlenzeisig, der mir und den Haselmäusen von der tanzenden Erle berichtete. Da dachte ich, dass ich die Aue ja nicht gleich ganz verlassen müßte – vielleicht reichte es ja schon, wenn ich mein Nest nur ein kleines Stück weiter von der Erle entfernt einrichten würde. Als ich dies dem Zeisig und den Mäusen sagte, hat mich Frau Haselmaus darauf aufmerksam gemacht, dass in der Umgebung ihres Baus schon eine Igelin ihr Heim aufgeschlagen hätte; sie sei zwar etwas merkwürdig, aber sicher keine unangenehme Nachbarin. Ich fragte: ‚Merkwürdig? Warum merkwürdig?’ Und Frau Haselmaus antwortete: ‚Hast du schon einmal einen Igel gesehen, der sich lieber auf einen Laubhaufen, als in ihn hinein legt? Ist es nicht merkwürdig für einen Igel, am helllichten Tag die Wanderung der Wolken am Himmel zu beobachten und dabei einen Seufzer nach dem anderen auszustoßen?’ – Da war mir mit einem Schlag klar, worum es bei der ganzen Aufregung in der Erlenbachaue ging. Wie hätte ich aber auch vorher an so etwas denken sollen? So etwas tritt eben nur sehr selten ein – ich selber habe es in meinem langen Leben überhaupt noch nicht erlebt, sondern nur davon gehört. Darum wurden mir die Zusammenhänge auch erst klar, als Frau Haselmaus mir dies berichtete. Und damit all die übrigen Tiere, die in der Aue wohnten und wohl zu dir geflüchtet waren, sich nicht unnötig sorgten, habe ich mich auf den Weg gemacht, um ihnen zu sagen, dass sie keine Angst haben müßen und ruhig wieder in die Aue zurückkehren sollen und um dir davon zu erzählen. So, nun ist mir wohler."

Der Igel verstummte und schien sehr froh darüber zu sein, nun alles erzählt zu haben.

Doch Sasana sah ihn unverwandt an und schien noch auf etwas zu warten. Der Igel sah diesen fragenden Blick, wußte jedoch nichts damit anzufangen. Hilfe suchend wandte er sich dem Wildpferd zu – doch dies schaute genauso fragend drein, wie die Elfe.
"Na? – Und?" Kandars Stimme hatte einen auffordernden Ton.
"Wie? Was?" Der Igel wandte seinen Blick verwundert wieder Sasana zu. "Was soll ich denn noch erzählen? Nun wißt ihr doch alles."


Tanzende Erle - Eine Zeichnung von Hanne H.

Für die Zeichnung danke ich sehr herzlich Hanne H.
Um das Bild vergrößert zu sehen, klicken Sie es einfach an.


* nach oben *



Zu den anderen Teilen:

* 1 *  < >  * 3 *


Zurück zur Startseite